Der Tod und das Sterben werden in der Gegenwartsliteratur noch tabuisiert, obwohl sie in den Nachrichten tagtäglich heimisch sind. Es sind eben zwei verschiedene Dinge – anonyme Todesfälle zu melden oder zu zeigen, oder für das Dahinscheiden enger Angehöriger die richtigen Worte zu finden. Die slowakische Schriftstellerin Etela Farkašová empfand die Notwendigkeit, den Prozess des Abschiednehmens von der Mutter literarisch zu gestalten, wobei sie in der Tradition von Simone de Beauvoir, Annie Ernaux und Helene Cixous steht.Das vorliegende Buch beschreibt eindrucksvoll die Herausforderungen und die Vielfalt an Emotionen, die ein Leben nahe dem Tod mit sich bringen. Es ist aus der Perspektive einer Tochter erzählt, die ihre todkranke Mutter pflegt und dabei versucht, deren Leben zu verstehen. Sie erahnt dabei, trotz aller Vertrautheit mit der Mutter, dass es weiße Flecken in ihrer Lebensgeschichte gibt. Etela Farkašová lotet mit ihrem einfühlsamen Werk daher nicht nur die ambivalente Gefühlswelt Ihrer Protagonistin aus, sondern sie wirft ebenfalls die Frage auf, inwiefern ein Mensch den Anderen, seinen Nächsten, wirklich kennen und verstehen kann. Das Abschiednehmen von sterbenden Angehörigen spiegelt somit den Versuch wider, einen Kern oder einen Teil der Liebsten, die von uns gehen, festzuhalten und ihn über den Tod hinweg in uns zu bewahren.Es ist geschehen ...Wenn ich mich dem Leben meiner Mutter maximal annähern will, der Wahrheit darin, so muss ich das über die Literatur versuchen … Annie La FemmeDas Laub, weich, leise raschelnd, ich versenke den Fuß bis zur untersten Schicht und ziehe ihn langsam heraus, es halten sich darauf ein paar rotbronzene, goldgelbe, bräunliche oder noch ganz grüne Blätter, durchwebt von feinen Gefäßen, verdreht, zerrissen, welk, sie zerfallen unter meiner Sohle, lediglich der festere Stiel hält stand, alles Übrige verliert vor meinem Auge seine frühere Gestalt und verwandelt sich zu einer modernden Buntfarbigkeit.„Verweilen wir hier ein wenig“, sagt sie und klappt das Heft zu, aus welchem sie mich bis jetzt geprüft hat. Sie lehnt sich mit dem Rücken gegen einen Baum am Rand des schmalen Waldweges und atmet genussvoll die Luft ein. „Komm, wir wollen eine Weile Sonne atmen.“ Nur unwillig nähere ich mich ihr, tue jedoch nicht, was sie von mir erwartet, lehne mich nicht gegen den Baum, auf den sie hindeutet. „Dein ewiges Stehenbleiben, ich will, dass wir weitergehen.“ Sie gibt nicht auf und versucht mich zu überreden, wie immer. „Warum machst nicht auch du die Augen zu, es ist ein ganz anderes Gefühl, versuch es wenigstens einmal.“ Ich sage ihr, dass ich jetzt gleich anfangen werde im Geiste bis hundert zu zählen, also gut, meinetwegen auch zurück, von hundert bis eins, und dann will ich wirklich gehen, dieses ständige von einem Bein auf das andere Treten, ich habe noch so viele Aufgaben für die Schule zu erledigen, bis morgen. Sie ändert ihre Position nicht, das Gesicht noch immer der herbstlichen, mild liebkosenden Sonne zugewandt, die Augen geschlossen, als wolle sie sich möglichst gut Einatmen, Ausatmen, Einatmen.„Etwas hast du doch schon erledigt, auch die Vokabeln hast du schon gelernt, keinen Fehler hast du gemacht, warum willst du es nicht wenigstens ein einziges Mal probieren, weißt du, wie entspannend das ist? Die Sonnenluft.
Der Tod und das Sterben werden in der Gegenwartsliteratur noch tabuisiert, obwohl sie in den Nachrichten tagtäglich heimisch sind. Es sind eben zwei verschiedene Dinge – anonyme Todesfälle zu melden oder zu zeigen, oder für das Dahinscheiden enger Angehöriger die richtigen Worte zu finden. Die slowakische Schriftstellerin Etela Farkašová empfand die Notwendigkeit, den Prozess des Abschiednehmens von der Mutter literarisch zu gestalten, wobei sie in der Tradition von Simone de Beauvoir, Annie Ernaux und Helene Cixous steht.Das vorliegende Buch beschreibt eindrucksvoll die Herausforderungen und die Vielfalt an Emotionen, die ein Leben nahe dem Tod mit sich bringen. Es ist aus der Perspektive einer Tochter erzählt, die ihre todkranke Mutter pflegt und dabei versucht, deren Leben zu verstehen. Sie erahnt dabei, trotz aller Vertrautheit mit der Mutter, dass es weiße Flecken in ihrer Lebensgeschichte gibt. Etela Farkašová lotet mit ihrem einfühlsamen Werk daher nicht nur die ambivalente Gefühlswelt Ihrer Protagonistin aus, sondern sie wirft ebenfalls die Frage auf, inwiefern ein Mensch den Anderen, seinen Nächsten, wirklich kennen und verstehen kann. Das Abschiednehmen von sterbenden Angehörigen spiegelt somit den Versuch wider, einen Kern oder einen Teil der Liebsten, die von uns gehen, festzuhalten und ihn über den Tod hinweg in uns zu bewahren.Es ist geschehen ...Wenn ich mich dem Leben meiner Mutter maximal annähern will, der Wahrheit darin, so muss ich das über die Literatur versuchen … Annie La FemmeDas Laub, weich, leise raschelnd, ich versenke den Fuß bis zur untersten Schicht und ziehe ihn langsam heraus, es halten sich darauf ein paar rotbronzene, goldgelbe, bräunliche oder noch ganz grüne Blätter, durchwebt von feinen Gefäßen, verdreht, zerrissen, welk, sie zerfallen unter meiner Sohle, lediglich der festere Stiel hält stand, alles Übrige verliert vor meinem Auge seine frühere Gestalt und verwandelt sich zu einer modernden Buntfarbigkeit.„Verweilen wir hier ein wenig“, sagt sie und klappt das Heft zu, aus welchem sie mich bis jetzt geprüft hat. Sie lehnt sich mit dem Rücken gegen einen Baum am Rand des schmalen Waldweges und atmet genussvoll die Luft ein. „Komm, wir wollen eine Weile Sonne atmen.“ Nur unwillig nähere ich mich ihr, tue jedoch nicht, was sie von mir erwartet, lehne mich nicht gegen den Baum, auf den sie hindeutet. „Dein ewiges Stehenbleiben, ich will, dass wir weitergehen.“ Sie gibt nicht auf und versucht mich zu überreden, wie immer. „Warum machst nicht auch du die Augen zu, es ist ein ganz anderes Gefühl, versuch es wenigstens einmal.“ Ich sage ihr, dass ich jetzt gleich anfangen werde im Geiste bis hundert zu zählen, also gut, meinetwegen auch zurück, von hundert bis eins, und dann will ich wirklich gehen, dieses ständige von einem Bein auf das andere Treten, ich habe noch so viele Aufgaben für die Schule zu erledigen, bis morgen. Sie ändert ihre Position nicht, das Gesicht noch immer der herbstlichen, mild liebkosenden Sonne zugewandt, die Augen geschlossen, als wolle sie sich möglichst gut Einatmen, Ausatmen, Einatmen.„Etwas hast du doch schon erledigt, auch die Vokabeln hast du schon gelernt, keinen Fehler hast du gemacht, warum willst du es nicht wenigstens ein einziges Mal probieren, weißt du, wie entspannend das ist? Die Sonnenluft.